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Wenn Vertrauen kippt – Wege zurück zu Verlässlichkeit im Team

  • Autorenbild: Anna Smesny
    Anna Smesny
  • 12. Nov.
  • 6 Min. Lesezeit

Maria sitzt bei mir im Coaching. „Im Moment habe ich das Gefühl, dass ich mein Team nicht mehr erreiche. Die Stimmung in meinem Team kippt, und ich stehe mittendrin."

Sie bringt einen konkreten Vorfall ins Gespräch: Nach dem Launch eines neuen Features hatten zwei Teammitglieder eigenmächtig Änderungen am Code vorgenommen – ohne Abstimmung mit dem Team. Diese Änderungen waren den anderen Teammitgliedern aufgefallen und hatten für Irritation gesorgt. Im darauffolgenden Team-Meeting, bei dem die Aufgabenverteilung für die kommende Woche besprochen wurde, wurde diese Irritation sichtbar: Die beiden, die den Code geändert hatten, wirkten angespannt auf sie. Die übrigen sechs Teammitglieder zeigten aus ihrer Sicht eine irgendwie ablehnende Körperhaltung: hängende Schultern, abgewandte Blicke, verschränkte Arme, kurze knappe Antworten.

Da dieses Verhalten untypisch für ihr Team war, sprach Maria es direkt an und fragte nach, was los sei. Zunächst herrschte betretenes Schweigen. Nach einigen Sekunden meldete sich ein Teammitglied: „Unsere Meinung scheint ja nicht relevant zu sein – wenn am Ende entgegen unserer Absprachen einfach im Alleingang entschieden wird." In der Folge eskalierte der Konflikt, mehrere Teammitglieder wurden emotional. Meine Coachee wirkt von diesem lauten Konflikt – dem ein eisiges Schweigen folgte – sichtlich gefordert.

Das, was sie erlebt hat, ist ein klassischer Vertrauensbruch. Aber was passiert in solchen Momenten – im Team, in der Dynamik, in den Köpfen der Beteiligten – und wie geht man konkret damit um?


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Die Anatomie des Vertrauensbruchs

Vertrauensbruch zeigt sich schnell – Körpersprache, schweigende Teams, Eiszeit am Tisch. Neurowissenschaftlich wird sofort das Stresssystem aktiviert:

Die Amygdala – unser „Rauchmelder" im Gehirn – schlägt sofort an. Binnen Millisekunden werden Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet. Der Körper schaltet auf Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus. Das erklärt die verschränkten Arme, die abgewandten Blicke und die kurzen Antworten in Marias Team.

Eine Studie der Universität Zürich zeigte: Menschen, die einen Vertrauensbruch erlebt haben, zeigen ähnliche Gehirnaktivitäten wie bei physischem Schmerz. Das ist kein Zufall – soziale Ausgrenzung und Vertrauensbruch werden in denselben Gehirnregionen verarbeitet wie körperlicher Schmerz.


Der Negativitäts-Bias verstärkt den Schaden

Besonders fatal: Unser Gehirn ist darauf programmiert, negative Erfahrungen viel stärker zu gewichten als positive. Psychologen sprechen vom „Negativitäts-Bias". Eine einzige schlechte Erfahrung wiegt emotional so schwer wie fünf bis sieben positive Erlebnisse.

Das bedeutet konkret: Die zwei Teammitglieder, die eigenmächtig handelten, haben mit einer Aktion das Vertrauen zerstört, das durch dutzende positive Interaktionen aufgebaut wurde. Und das Gehirn jedes Beteiligten wird diese eine negative Erfahrung immer wieder als Warnsignal aktivieren.


Die verschiedenen Gesichter des Vertrauensbruchs

Nicht jeder Vertrauensbruch ist gleich. Die Forschung unterscheidet drei Haupttypen:

  • Kompetenz-Vertrauensbruch: „Die können das nicht." (Beispiel: Fehler durch mangelndes Know-how)

  • Integrität-Vertrauensbruch: „Die halten sich nicht an Absprachen." (Beispiel: Marias Fall – eigenmächtige Code-Änderungen)

  • Wohlwollen-Vertrauensbruch: „Die haben nur ihre eigenen Interessen im Blick." (Beispiel: Informationen bewusst zurückhalten)


Integritäts-Vertrauensbrüche treffen die Grundlagen der Zusammenarbeit – sie erschüttern die Verlässlichkeit.


Typische Spirale nach unten

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  • Schock und Verwirrung – betroffenes Schweigen

  • Rückzug und Selbstschutz – vorsichtiger, weniger Austausch

  • Zynismus / Widerstand – „Warum soll ich mich noch anstrengen?“

  • Innere Kündigung / Fluktuation – Mitarbeitende ziehen sich zurück oder verlassen das Team


Die messbaren Schäden

Eine Studie der Harvard Business School fand heraus: Teams mit niedrigem Vertrauen brauchen 30-40% mehr Zeit für dieselben Aufgaben. Der Grund: Statt zu kooperieren, arbeiten alle im Einzelkämpfermodus. Abstimmungen dauern ewig, weil jeder jeden kontrollieren will.


Weitere messbare Auswirkungen:

  • Innovation bricht ein: Vertrauensarme Teams entwickeln 60% weniger neue Ideen

  • Qualität sinkt: Niemand gibt freiwillig sein Bestes, wenn das Teamgefühl fehlt

  • Fluktuation steigt: 67% der Mitarbeitenden in vertrauensarmen Teams denken aktiv über Kündigung nach

  • Krankenstand erhöht sich: Der chronische Stress macht krank


Die unsichtbaren Kosten

Noch schwerwiegender sind oft die versteckten Kosten:

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  • Emotionale Erschöpfung: Misstrauen ist anstrengend. Menschen gehen abends völlig erschöpft nach Hause

  • Rufschäden: Unzufriedene Teams reden – mit Kunden, Lieferanten, potenziellen Mitarbeitenden

  • Führungsstress: Führungskräfte wie Maria stehen unter Dauerdruck, fühlen sich hilflos

  • Ansteckungseffekt: Vertrauensbrüche wirken über Teamgrenzen hinaus


„Es braucht Jahre, Vertrauen aufzubauen, Sekunden, es zu zerstören, und Ewigkeiten, es zu reparieren." – Warren Buffett

Ok, „Ewigkeiten“ ist echt ein großes Wort. Klar ist: Vertrauen wiederherzustellen braucht Zeit, aber der Prozess ist planbar und Schritt für Schritt wirksam.


Praxisplan: Vertrauen wiederherstellen

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Phase 1: Bestandsaufnahme

  • Einzelgespräche führen – Fakten und Gefühle erfassen

  • Anonyme Befragung zur aktuellen Vertrauenslage

  • Bei Bedarf externe Moderation hinzuziehen

Phase 2: Verantwortung übernehmen

  • Verantwortung klar benennen, ohne Rechtfertigungen

  • Vier Schritte: anerkennen, Verantwortung übernehmen, klar benennen, handeln

  • Beispiel Maria: „Ich habe es verpasst, klare Regeln zu etablieren, damit ihr Orientierung hattet. Dafür übernehme ich die Verantwortung.“

Phase 3: Transparenz etablieren

  • Wöchentliche Updates zu allen relevanten Themen

  • Offene Entscheidungsprozesse

  • Regelmäßige Feedback-Runden

  • Marias Umsetzung: tägliche 10-Minuten-Standups, Regeln für Entscheidungen

Phase 4: Konsistenz zeigen

  • Kleine Handlungen konsequent umsetzen: Termine einhalten, Rückfragen stellen, Fehler offen ansprechen

  • Tracker oder tägliche Reflexion: „Habe ich heute Verlässlichkeit gezeigt?“

  • Wirkung: Team merkt, dass die Führung es ernst meint

Phase 5: Neue Normalität etablieren

  • Vertrauen als Teil der Teamkultur verankern

  • Regelmäßige Vertrauens-Checks und Feedback-Rituale

  • Konfliktprotokolle und klare Regeln für Meinungsverschiedenheiten

Erfolge sichtbar machen


Tools:

  • 24-Stunden-Regel: Vertrauensbruch sofort ansprechen

  • Perspektiven-Protokoll:

Strukturierte Gespräche zur Aufarbeitung:

  • Fakten klären: Was ist konkret passiert?

  • Perspektiven teilen: Wie hat jeder die Situation erlebt?

  • Auswirkungen benennen: Was hat das bei jedem ausgelöst?

  • Bedürfnisse artikulieren: Was braucht jeder, um wieder vertrauen zu können?

  • Maßnahmen vereinbaren: Welche konkreten Schritte gehen wir?


Wann externe Hilfe nötig ist

Manche Vertrauensbrüche sind zu komplex für interne Lösungen.

Externe Hilfe ist ratsam bei:


  • Wiederholten Vertrauensbrüchen im Team

  • Emotionaler Eskalation, die sich nicht beruhigt

  • Machtkämpfen zwischen Führungsebenen

  • Mobbing-Verdacht oder anderen ernsten Vorwürfen

  • Wenn das Vertrauen zur Führung fundamental erschüttert ist


Bei der Auswahl von Coaches/Mediator*en beachten:

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  • Erfahrung mit Team-Konflikten

  • Neutralität (keine Verbindung zu den Beteiligten)

  • Methodenkompetenz in Konfliktlösung

  • Referenzen aus ähnlichen Situationen


Stolpersteine: Was NICHT funktioniert

Die klassischen Fallen

  • Teambuilding-Events als „Pflaster": Ein gemeinsamer Ausflug kann Symptome überdecken, aber keine strukturellen Probleme lösen. Im Gegenteil: Erzwungene Nähe kann Konflikte verstärken.

  • Die „Schwamm drüber"-Mentalität: „Ist doch nicht so schlimm", „Das wird schon wieder" – solche Aussagen signalisieren: Die Gefühle der Betroffenen sind nicht wichtig.

  • Zu frühe Normalisierung: „So, das haben wir geklärt, jetzt arbeiten wir wieder normal zusammen." Vertrauensaufbau braucht Zeit – wer das missachtet, riskiert einen Rückfall.

  • Schuldzuweisungen an Dritte: „Das liegt am Zeitdruck/dem System/den Umständen." Wer die Verantwortung externalisiert, kann keine glaubwürdige Lösung anführen.


Warnsignale während der Umsetzung:

  • Oberflächliche Harmonie

  • Passive Aggression

  • Rückfall in alte Muster

  • Widerstand gegen Transparenz


Der Wendepunkt: Wenn Teams den Weg zurück finden

Zurück zu Maria und ihrem Team.

Maria führte Einzelgespräche und erfuhr das ganze Ausmaß der Verletzungen. Die sechs haben den Alleingang ihrer Kolleg*innen als Geringschätzung ihrer Kompetenz interpretiert. Die beiden „Verursacher" hingegen fanden, dass ihre Kolleg*innen sie komplett missverstanden hätten: „Wir wollten doch nur helfen und das Problem schnell lösen." In den Einzelgesprächen wurde klar: Vertrauen, Wertschätzung und Verständnis sind zentrale Bedürfnisse, die im Team gerade nicht ausreichend erfüllt waren.

Maria benannte ihren Anteil am Konflikt klar und übernahm dafür Verantwortung. Sie etablierte täglich 10-Minuten-Standups, um Transparenz zu schaffen, und technische Entscheidungen wurden künftig gemeinsam getroffen – kleine Änderungen mit Rücksprache, größere im Team.

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Ein paar Monate später passierte ein ähnlicher Fehler – diesmal reagierte das Team konstruktiv. Statt Vorwürfe und Eiszeit gab es die Frage: „Wie können wir das in Zukunft vermeiden?“ Das Team entwickelte selbst eine Lösung.



Impuls-Fragen für die Selbstreflexion

Für Führungskräfte nach einem Vertrauensbruch:

Zur Selbstverantwortung:

  • Welchen konkreten Anteil hatte mein Verhalten an diesem Vertrauensbruch?

  • Was habe ich übersehen, ignoriert oder falsch eingeschätzt?

  • Wo habe ich selbst nicht transparent oder verlässlich gehandelt?

Zum Verständnis der Auswirkungen:

  • Was genau haben die Betroffenen verloren? (Sicherheit, Respekt, Hoffnung, Wertschätzung?)

  • Wie würde ich mich in ihrer Position fühlen?

  • Welche langfristigen Folgen könnte das haben, wenn wir nichts unternehmen?

Zur Bereitschaft für Veränderung:

  • Was bin ich persönlich bereit zu investieren/zu ändern, um das Vertrauen im Team zu stärken?

  • Wie kann ich beweisen, dass es mir ernst ist – über Worte hinaus?


Für Teams in der Vertrauenskrise:

Zu den Bedürfnissen:

  • Was brauchen wir konkret von der Führung/voneinander, um wieder vertrauen zu können?

  • Welche Befürchtungen haben wir bezüglich der Zukunft unserer Zusammenarbeit?

  • Was sind unsere nicht-verhandelbaren Erwartungen für die Zusammenarbeit?

Zu den Lösungswegen:

  • Wie werden wir merken, dass sich wirklich etwas verändert hat?

  • Welche kleinen Schritte könnten uns helfen, wieder zusammenzufinden?

  • Was können wir selbst beitragen, damit es besser wird?

Zur eigenen Rolle:

  • Wo tragen wir möglicherweise selbst zu der angespannten Situation bei?

  • Wie gehen wir mit unseren eigenen Verletzungen um, ohne andere zu verletzen?


Vertrauen lässt sich nicht einfordern. Es wächst, wenn Führung sichtbar Verantwortung übernimmt und verlässlich bleibt – auch dann, wenn das Misstrauen noch spürbar ist.


Dafür braucht es Geduld. Und die Bereitschaft, nicht jedes Misstrauen persönlich zu nehmen. 
Demut hilft, weil sie anerkennt: Vertrauen ist eine Entscheidung der anderen, keine Leistung der Führung.

Wer in dieser Haltung bleibt, sendet das stärkste Signal:
 Ich bleibe da. Ich meine es ernst.

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